
Die Innenstädte sind in der Krise, so schallt es überall her. Selbst in Freiburg, wo es noch boomt und die Stadt zu jeder Gelegenheit voll ist, wird über eine Krise der Innenstadt geredet. In anderen Städten stolpert man über Leerstand, 1 Euro-Läden, Spielhallen und gähnende Langeweile.
Der Schuldige ist in der Lokalpresse natürlich schnell ausgemacht: Der böse Onlinehandel. Wenn die Menschen einfach alles bei Amazon bestellen, dann fährt keiner mehr in die Innenstadt und die Geschäfte sterben. Aber ist es wirklich so einfach?
Auch vor Corona waren viele deutsche Innenstädte vor allem eins: Austauschbar. Ob man jetzt nach Dortmund, Freiburg, Köln oder Frankfurt gefahren ist, am Ende ist man immer auf die gleichen Ketten gestoßen. Neben dem Karstadt gibt es dann den Kaufhof, den H&M, den C&A, den Thalia, den WMF-Store, den Saturn, einen Douglas, den Jack Wolfskin, den Deichmann, New Yorker, Telekom, Vodafone, O2, S. Oliver, Depot und dm. Oder halt die etwas heruntergekommene Variante für die etwas angeranzten Fußgängerzonen: Der Euroshop. Die Handyhüllen-Geschäfte.
Einerseits ist es natürlich nicht groß zu kritisieren, dass die großen Ketten ihre Waren auch in die kleineren Provinzstädte bringen. Andererseits ist das natürlich extrem langweilig. Wenn ich dann in einer fremden Stadt bin und genau das gleiche Angebot bekomme wie in Freiburg, dann erlischt natürlich jede Shoppinglust. Dann kann auch auch direkt zuhause einkaufen und muss die Einkäufe nicht mitschleppen. Aber es fehlt einfach etwas – wenn man im Urlaub einen coolen Laden findet, dann hat das etwas und der deutsche Innenstadteinheitsbrei erstickt das. Der Thalia hat halt das Thalia-Sortiment, aber er ist halt nicht der kleine Buchladen, in dem man die wirklichen Schätze findet und wenn es nur noch den Thalia gibt, dann wird der Städtetrip unattraktiver.
Austauschbarkeit ist ja eigentlich egal, wenn es um die eigene Stadt geht. Ob der Karstadt in Greifswald jetzt die gleichen Waren feilbietet wie der in Freiburg, kann mir als Freiburger wirklich egal sein. Wenn ich dann als Freiburger auf Urlaub in Greifswald kritisiere, dass die T-Shirts die gleichen sind, dann ist das meckern auf hohem Niveau. Das Problem sitzt tiefer:
Die Innenstädte sind in der Krise, weil man in ihnen wenig anderes machen kann als Einkaufen, Bürokratie, Arbeit, Arztbesuche, Essen und Trinken. Schon alleine aufgrund der hohen Mieten ist praktisch jeder Quadratmeter kommerzialisiert – Geschäft reiht sich an Café an Geschäft an Imbiss an Geschäft. Selbst die Gehwege und Plätze sind mittlerweile mit Außengastronomie belegt. Wer kein Geld hat und nicht gerade so spannende Dinge wie Arzt- oder Amtsbesuche erledigen muss, der kann in einer herkömmlichen Innenstadt wenig machen.
Nehmen wir mal Freiburg als Beispiel: Ohne Geld kann man sich auf die Betonwüste auf dem Platz der alten Synagoge setzen. Man kann auf dem Rathausplatz vor dem Brunnen sitzen, vor dem KGIV, im Colombipark auf dem Augustiner- und Adelhauserplatz. Man kann das Münster besuchen. Es gibt genau einen eher kleineren Spielplatz.
Erschreckenderweise hört es dann auf. Die Uni- und Stadtbibliotheken bieten immerhin ein paar unkommerzielle Elemente, aber es gibt ansonsten herzlich wenig zu tun, was nicht mit Einkaufen, Bürokratie, Arbeit, Essen und Trinken zu tun hat. Wer futtern will, ist gut aufgehoben. Wer sich eine ungesunde Menge an Cocktails in die Birne schrauben will, der auch. Wer etwas kaufen will, der auch. Aber eine interessante Innenstadt lebt eben von genau den Sachen, die nicht kommerziell sind. Den Effekt erlebt man dann am Sonntag, wenn die Geschäfte geschlossen sind: Dann wird die Innenstadt zur Wüste, mit der Gastro voller Touristen als Oase. Aber für den Einheimischen gibt es wirklich wenig Gründe, warum man dann am Sonntag in die Innenstadt fahren sollte.
Schaut man mal in einen Reiseführer zu einer beliebigen Stadt, dann tauchen dort selten die großen Shopping-Tempel auf. Die wirklich außergewöhnlichen, irgendwie urigen Geschäfte tauchen auf, aber zur lokalen H&M-Filiale wird man nicht vom Lonely Planet geleitet. In einer herkömmlichen deutschen Innenstadt gibt aber exakt diese sehenswerten Geschäfte nicht – und genau das macht sie dann so austauschbar und langweilig. Einkaufen. Bürokratie. Fressen. Saufen. Das war’s.
Eine lebenswerte Innenstadt ist aber mehr als das – ein richtig cooler Spielplatz für die Kinder bringt Leben rein. Der Freiburger Tanzbrunnen, wo sich im Sommer Abends Menschen einfach zum Tanzen treffen, bringt Leben rein. Eine handelsübliche Wiese, auf der Menschen sitzen können, macht jede Stadt lebenswerter als ein Nanu Nana. Und auch der Freiburger Augustinerplatz war zu seinen Hochzeiten ein Highlight – hunderte junge Menschen trafen sich dort an lauen Sommerabenden und saßen einfach friedlich zusammen.
Das zeigt aber auch die Probleme: Die Anwohner des Augustinerplatzes haben massiv mobil gemacht und die Stadt so lange bearbeitet, so dass dieser Treffpunkt jetzt nicht mehr das ist, was er mal war. Auch am Tanzbrunnen gab es Beschwerden eines Mediävistik-Doktoranden über den „unerträglichen Lärm“ der Tanzenden. Die Innenstadt scheitert an ihrer Dreifachfunktion als komplett durchkommerzialisierte Zone, Ausgehviertel und Wohngebiet. Unkommerziell genutzte Flächen wecken schnell Begehrlichkeiten – wenn diese Leute da eh im Sommer schon alle auf diesem Platz sitzen und Bier trinken, dann könnte man da ja auch eine größere Außengastronomie hinklatschen und richtig viel Geld verdienen. So geschehen etwa beim Ufercafé.
Natürlich wollen Menschen auch nach 22 Uhr noch gemütlich zusammensitzen, aber dann beschweren sich die Anwohner über die Nachtruhe – ein Problem nicht nur für unkommerzielle Treffpunkte, sondern auch für normale Kneipen. Da stoßen dann schnell verhärtete Fronten aufeinander. Am Ende leidet die ganze Attraktivität der Innenstadt.
Diese leidet auch an den gigantischen Mieten. Gerade in Freiburg ist es nicht gerade günstig einen Innenstadtladen zu betreiben und daher sind in den letzten Jahrzehnten nach und nach die kleinen, wirklich attraktiven Läden verschwunden. Sie sind entweder in die außerhalb gelegenen Bezirke gewandert, ins Internet oder halt ganz verschwunden. Es gab mal einen Buchladen, der sich auf Fantasy und Science-Fiction spezialisiert hat und eine wirklich gute Auswahl hatte. Die urigen Antiquariate mit ihren wild übereinander gestapelten Büchern sind verschwunden. Die anarchischen Second Hand-Laden sind weg. Die Nische ist im Prinzip nur noch im Luxussegment mit seinen hohen Margen möglich. Auch daran erstickt eine Innenstadt, denn gerade die Nische macht sie ja interessant und attraktiv. Will ich mir z.B. einen Schallplattenspieler kaufen, dann ist ein kleiner Laden mit ordentlicher Beratung und einer guten Auswahl halt attraktiver als der Saturn, der halt irgendwo zwei Standard-Modelle stehen hat, die ich aber auch deutlich günstiger online klicken kann. Der HighEnd-Audioladen, wo jeder Plattenspieler eine vierstellige Summe kostet und mit seinem minimalistischen Design ein Statement für den gesamten Wohnbereich ist, spricht auch nur eine sehr kleine Nische von sehr gut verdienenden Menschen an. Ein guter Buchladen ist inspirierender als das öde Sortiment in einer Buchladenkette wie Thalia – wenn ich das neue Buch von Daniel Kehlmann möchte, kann ich es auch einfach bei Jeff im Regenwald bestellen ohne in die Stadt zu fahren.
Also: Eine Stadt wird erst wirklich lebenswert, wenn man in ihr etwas anderes machen kann als Einkaufen, Fressen, Saufen, Arbeiten, Arztbesuche und Bürokratie. Es wäre zu wünschen, dass unsere Stadtplaner dies auch in ihre Planungen aufnehmen.