
Es gibt manchmal so Bücher, die einem plötzlich überall begegnen und über die verschiedene Menschen sich in verschiedenen Kontexten unterhalten. Mir ist das mit Kim Stanley Robinsons „The Ministry for the Future“ dieses Jahr passiert. Wenn verschiedene Menschen sich über ein Science Fiction-Buch unterhalten, dann ist das häufig ein Zeichen dafür, dass sich ein genauerer Blick lohnt. (Oder es handelt sich um Bücher wie 50 Shades of Grey, aber das ist ein anderes Thema)
Zuerst wurde ich auf das Buch Anfang des Jahres aufmerksam als in Indien eine gigantische Hitzewelle zuschlug – mein Twitter war plötzlich voll mit Erwähnungen des Buchs. Danach tauchte es immer wieder auf und als ich es dann in der örtlichen Buchhandlung sah, habe ich es einfach gekauft.
Und was soll ich sagen: Es ist ein krasses Buch. Ein Buch, das sich jeder Zusammenfassung entzieht. Ein Buch, das eigentlich Science Fiction ist, dann aber eben wieder so nah an der Gegenwart ist, dass diese Genrezuschreibung nicht passt. Ein Buch, das keine wirkliche Story hat, keinen großen Spannungsbogen und auch nur Charaktere, die verblüffend blass werden. Ein Buch, das fast mehr Sachbuch als Roman ist, aber dann eben doch kein Sachbuch ist.
Worum geht es? Es geht um das „Ministerium für die Zukunft“, eine UN-Organisation, welche die noch ungeborenen Menschen und ihre Interessen vertreten soll. Daraus entspinnt sich eine Geschichte der Klimakrise, der menschlichen Reaktionen auf diese Krise und möglicher Szenarien, wie die Klimakrise verlaufen könnte. Es ist wirklich schwer zu beschreiben, worum es überhaupt in diesem Buch geht: Robinson beschreibt eine mögliche, nahe Zukunft, in der gewaltige Klimakatastrophen passieren. Er beschreibt Lösungen, wie Menschen diese Krise versuchen zu bewältigen. Er beschreibt politische Maßnahmen. Er beschreibt technische Lösungen. Er beschreibt ein Aufkommen eines radikalen Ökoterrorismus, der sich gegen Klimasünder richtet. Das liest sich wie ein wilder Fiebertraum – Robinson haut einem in einem fast stenographischen Stil hunderte verschiedene Konzepte, Theorien und Ideen ins Hirn. Alle kurz und knapp, alle regen zum Nachdenken und Recherchieren an und wer das tut, wird mit dem Buch nie fertig werden, aber dafür klüger.
Und vielleicht wird man auch etwas optimistischer: Aktuell fühlen sich alle Nachrichten an der Klimafront ja apokalyptisch an. So als ob man in einem viel zu schnell fahrenden Auto unterwegs ist, das gerade ins Schlingern gerät. Corona und der Ukraine-Krieg lenken gerade alle ab, wir verlieren weitere, wichtige Jahre und die Extremwetterereignisse werden mehr, wir verbrennen aber weiter immer mehr CO2. Am Ende kann man als mittelalter Mensch fast nur froh sein, wenn man dann irgendwann so 2050-2070 den Löffel abgeben kann und der Planet bis dahin noch nicht völlig zerstört ist. Wer Kinder hat, muss eigentlich verzweifeln.
Kim Stanley Robinson denkt wenigstens Wege, wie sich eine Katastrophe abschwächen kann. Wie die Menschheit doch noch die Kurve bekommen könnte. Und das ist wirklich höchst inspirierend. Man muss nicht jede Idee für gut halten. Man muss auch nicht jede Idee für umsetzbar halten. Manchmal macht sich Robinson die Lösung auch zu einfach – so „löst“ er das Problem des globalen Flugverkehrs einfach durch einen weltweiten Drohnenterrorismus gegen Flugzeuge, welche dann durch Luftschiffe ersetzt werden. Allgemein spielt Terrorismus gegen Umweltsünder eine große Rolle im Buch – ohne jetzt größere Spoiler zu bringen, fällt einem auf, dass das Buch radikaler denkt als die aktuelle Klimabewegung. Aktuell kleben sich die Radikalen Klimaschützer im Berufsverkehr auf Straßen, um gegen den Verkehr zu protestieren und werden dann dafür von Autofahrern verprügelt. Im Buch sieht dies deutlich anders aus – und ich bin wirklich gespannt, ob wir irgendwann eine radikale Ökoterrorismusbewegung sehen, die etwa Manager von Ölfirmen oder Milliardäre wie die Koch Brüder umbringt oder wirkliche Anschläge auf die fossile Infrastruktur begeht.
Von daher: „The Ministry for the Future“ ist ein radikales Buch. Anders als so vieles, was man sonst liest. Es widersetzt sich erfolgreich allen Genrekonventionen. Es regt zum Sorgen, zum Denken, zum Recherchieren an – und genau daher ist es absolut lesenswert.