Raus aus der Nachrichtenmühle

Die Weltlage gerade ist ja eher Weltschmerz denn Freude und in Vorbereitung auf einen sicherlich nicht wirklich  angenehmen Winter habe ich mir vorgenommen meinen Nachrichtenkonsum etwas anzupassen.  

Der Plan war der folgende:

  • Da externe Anbieter irgendwann zwangsläufig mies werden, soll das gesamte System in meiner Hand liegen
  • Das System soll möglichst wartungsfrei sein und eben nicht stetige Pflege benötigen
  • Es soll geräteübergreifend funktionieren, sowohl am PC mit verschiedenen Betriebssystemen als auch am Handy oder Tablet ,
  • Die Technik soll zukunftssicher sein, also keine experimentellen oder extrem veralteten Techniken einsetzen
  • Ich will alles an einer Stelle haben und will nicht zig Seiten besuchen müssen
  • Die Lösung war dann nach etwas Nachdenken keine fancy App, kein KI-gesteuertes Startup, kein RSS-Reader, sondern… ein simples Mailpostfach.
  • Das Mailpostfach auf meinem Server liegt in meiner Hand. Wird mein Hoster mies, kann ich es einfach zu einem anderen umziehen
  • Es ist zu 100 % wartungsfrei
  • Mails lassen sich praktisch überall abrufen, selbst auf manchen Kühlschränken
  • Etwas zukunftssicheres als E-Mail dürfte es kaum geben. Das bleibt
  • Es ist sowohl ein Push- als auch ein Pull-Dienst. Je nach Lust und Laune kann ich das Postfach lesen, wenn neue Mails kommen oder halt wenn ich gerade Lust habe

Herzstück sind zwei Elemente: Ein Dienst, der RSS-Feeds in Mails umwandelt und … Newsletter.

Und so banal sieht das dann aus

In der ersten Testphase nutze ich vorerst Blogtrottr.com – zugegebenermaßen ein Verstoß gegen die erste Vorgabe, dass alles in meiner Hand sein soll. Es gibt aber auch diverse Open Source-Tools für diesen Zweck, aber manchmal darf man einen Teil auch erstmal testen. Blogtrottr macht den Job ganz gut, blendet aber in der kostenfreien Version Werbung ein. Diese ist aber problemlos mit Thunderbird (PC) und Blockada (Android) zu blocken.

Mit Blogtrottr abonniere ich diverse RSS-Feeds, bei denen mir die Einträge dann als einzelne Mails oder (wahlweise) als Tageszusammenfassung zugestellt werden. Diese Mails sortiere ich dann per Filterregel im Postfach in einen Unterordner je nach Quelle.

Ein wirklich großartiger Nebeneffekt ist, dass man die Nachrichten auf diese Weise auch filtern und sortieren kann:

Ist der Absender „Tagesschau“ und der Betreff enthält „Trump“, lösche die Nachricht

Ist der Absender „Heise.de“ und der Betreff enthält „Tesla“ oder „Musk“ oder „Apple“, lösche die Nachricht

Ist der Absender „Tagesschau“ und der Text enthält „Freiburg“, verschiebe die Mail in den Ordner „Freiburg“

Auf die Weise kann man sich seine eigene Mediendiät zusammenstellen, was so mit dem normalen Surfen auf den üblichen Nachrichtenseiten nicht möglich ist. Dort bekommt man stets die volle Ladung Nachrichten um die Ohren geknallt, so irrelevant oder redundant sie auch sind. Bunt, mit Bildern, mit Videos und lautem Geschrei. Ich weiß aber bereits, dass Donald Trump ein großer Idiot ist. Ich will daher nicht mehr jeden Gedankenfurz von ihm lesen müssen, der genau das nochmal beweist. Ich habe gerade kein Interesse daran ein Produkt von Apple zu kaufen und trotzdem sind alle Techseiten voll mit Nachrichten und Spekulationen zum neuen iPhone. Auch das aktuelle Auto fährt noch, daher ist es auch total irrelevant, was ein Elon Musk gerade wieder macht.

Man unterschätzt es auch, wie sehr manche Personen die Medien „gehackt“ haben und sich ständig mit wilden Aussagen in der Öffentlichkeit platzieren. Da gibt es einen Bürgermeister einer süddeutschen Mittelstadt, der in seiner Partei keine weiteren Funktionen als Bürgermeister hat. Spiegel Online schrieb 554 Artikel über ihn. Da gibt es eine Politikerin einer deutschen Kleinpartei, die nur dank drei Direktmandate im Bundestag vertreten ist. 1776 Artikel. Die Herausgeberin einer Zeitschrift mit 25000 Lesern? 1199 Artikel.

Das gilt auch für bestimmte Länder – man liest mehr Artikel über die US-Innenpolitik als über die Innenpolitik unserer Nachbarländer. Ich habe noch nicht den perfekten Filter für das Ausblenden der für uns völlig irrelevanter US-Vorwahlen gefunden, aber höchstwahrscheinlich geht das wunderbar über „Lösche Mail, wenn sie „Trump“ enthält“ – auch hier ist man sicherlich besser dran, wenn man sich erst mit dem Thema beschäftigt, wenn die beiden Präsidentschaftskandidaten feststehen. 

Sieht wild aus, filtert aber erstaunlich viel Unfug. Ich bin übrigens kein erfahrener Administrator und bastel da trotzdem rum

Es ist wirklich angenehm, wenn man bestimmte Leute und Themen einfach ausblenden kann. Kein Interesse an Formel 1? Weg damit! Kein Interesse an Fußball? Löschen! Ist das schlimmste Cancel Culture? „Cancel Culture“ ist auch ein wunderbarer Begriff zum Filtern, denn kein Artikel mit diesen beiden Wörtern im Titel enthält etwas Sinnvolles.

Das ist jetzt kein Aufruf, sich nicht mehr zu informieren und den Kopf in den Sand zu stecken. Aber gleichzeitig ist es auch völlig ok, wenn man nicht alle Not der Welt in sich reinfrisst und bestimmte Themen, an denen man eh nichts ändern kann, einfach ignoriert. So wichtig staatsbürgerliches und politisches Engagement auch ist – den Nahostkonflikt bekommt man vom Sofa in Deutschland aus eh nicht gelöst und daher bringt einen auch die 237. Nachricht über Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen wirklich nicht weiter. Das kann man auch einfach ignorieren – und sollte die Lage dort wirklich komplett eskalieren, dann bekommt man es trotzdem irgendwie mit. 

Im Zeitalter des algorithmisch empfohlenen Schwachsinns ist es ernsthaft befreiend, wenn man bestimmte Themen einfach nach freier Entscheidung nicht mehr konsumieren muss, statt sie wirklich an jeder Stelle um die Ohren gehauen zu bekommen. Auf Twitter kommt man um den Aufreger des Tages nicht drumrum, die Nachrichten bringen es als Hauptschlagzeile und am Ende bekommt man die neusten dummen Aussagen eines Donald Trumps auch noch über das Widget in der Windows-Taskleiste direkt ins Gesicht geballert. Es ist wirklich schön, wenn man etwas dann doch aus freien Stücken ignorieren kann.

So geht’s

Aber ich schweife ab: Wer sich ebenfalls ein entsprechendes System abschauen will, der kann das recht einfach machen, die Bausteine sind wirklich simpel:

  1. Ein neues Mailpostfach einrichten. Ich hab hier meinen eigenen Server, aber jeder Freemailer geht natürlich auch oder man schickt alles in sein normales Postfach
  2. Ich nutze gerade Blogtrottr.com als RSS2Mail-Dienst
  3. Ich kombiniere das aktuell – in völliger Verletzung meines ursprünglichen Planes – dann noch mit morss.it einem Dienst, welcher beschnittene RSS-Feeds wieder in Volltext-Feeds umwandelt
  4. Das Filtern ist je nach Anbieter unterschiedlich

    Das Postfach kann dann wirklich überall gelesen werden: Browser, Mailprogramm, Smartphone, Tablet, Kühlschrank, Mittelklasse-Audi oder Smartwatch.

Auf die Weise kann man – ohne Werbung und ohne das Mailprogramm zu verlassen – alles entspannt lesen. Alle Dienste ließen sich aber problemlos auch selbst betreiben oder schnell ersetzen, wenn die fremdgehosteten Varianten den Weg aller Clouddienste gehen.

Das andere Element meiner neuen Nachrichtenstrategie sind Newsletter. Die boomen gerade eh und wer früher ein Blog hatte, hat jetzt einen Newsletter. Es gibt jede Menge kluge Köpfe und kluge Newsletter. Hier findet man – neben jeder Menge Müll – auch genau die leisen und ruhigen Stimmen, die lange, ausgewogene und durchdachte Artikel schreiben, welche in den Sozialen Netzwerken völlig untergehen. Und manch einer, der auf Twitter gerne provoziert, zeigt sich in seinen Newslettern dann sogar als kluger und durchdachter Feingeist. Und meine Lokalzeitung bietet sogar einen allabendlichen Newsletter, in dem das Lokalgeschehen zusammengefasst wird.

Welche Vorteile gibt es noch? Man hat ein Volltextarchiv der gelesenen Nachrichten, in dem man suchen kann. Man kann offline lesen. Nach einem Urlaub oder einer Phase der Nachrichtenabstinenz kann man sich wieder auf den aktuellen Stand bringen, ohne etwas zu verpassen. Man kann einfach alle Premium-Plus-Paywall-Artikel rausfiltern. Einen Daily Digest bestimmter Twitter-User bekommen. Oder mit einem Webseiten-Monitoring-Tool die Webseite der Freiburger Lebensmittelkontrollen beobachten, um in bestimmte Restaurants definitiv nie mehr zu gehen. 

Fazit

Es funktioniert. Es ist nerdig, es braucht etwas Einrichtungszeit, aber es ist eine wunderbar entspannte Art, um Nachrichten zu konsumieren. Die Infrastruktur in eigener Hand. Werbefrei. Unerwünschtes wird rausgefiltert.

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