Ich war heute auf der Electric Book Fair. Und habe mich dort den ganzen Tag gefragt was das eigentlich ist. Hier sind meine – hauptsächlich uneditierten – Notizen dazu.
Wieder das gleiche Spiel wie gestern.1 Allerdings leicht anderes Setting. Es sind mehr Leute, mehr Menschen in der Mitte – wenn man so will – und mehr Menschen außen. Es gibt mehr Technik, mehr Akteure. Es gibt ein wesentlich komplexeres Gruppenverhältnis und eine Menge Performances, die angenehm und abstoßend zugleich sind, weil sie eine Okayness mit einer Art von Individualität verbinden und diese Verbindung nun mal narzisstisch ist.
Aber was ist eigentlich eine Electric Book Fair?
Erstmal: es ist eine Taglange Veranstaltung in Berlin. Es ist eine Veranstaltung, die in der Brunnenstraße stattfindet sich dem E-Book (in Absetzung vom Buch) widmet. Eine Reihe von Dingen passieren an verschiedenen Stellen gleichzeitig, weswegen so etwas wie eine Chronologie kaum möglich scheint. Spatial? Vielleicht. Der Ort, ist der Veranstaltungsort “Supermarkt” in der Brunnenstraße. Dieser hat mehr oder weniger eine zufällige räumliche Aufteilung erfahren. Ganz wichtig: Zwei Vortragsbereiche. Dabei ist die Akustik als Akteur stark. Auf einer E-Book-Veranstaltung! Denn man hört mehr als man sieht, als man liest. Dem Format dieser Veranstaltung ist vielleicht am ehesten noch so eine Art Barcamp zuzuordnen. Es gibt ein Café. Es gibt einzelne Sitzmöglichkeiten. Es gibt keine ruhigen Orte, keine Abgeschiedenenheit. Es gibt ein Draußen. Es gibt Möbel im Raum. Es gibt Veranstalter_innen und es gibt Technik. Gibt Leute, die diese Technik bedienen und “was zu tun” haben. Im Mittelpunkt steht auch hier: Nicht etwa das Inhaltliche (oder…?), sondern die Möglichkeit da zu sein. Im Sinne, dass hier sein dabei gewesen sein, sein wird. Und das ist anscheinend sehr wichtig. Man wird beim Hereinkommen markiert. Dies geschieht auf unterschiedliche Weise: Zum einen wird man markiert, in dem man einen Aufkleber bekommt und dann wird man “metamarkiert”, in dem man aufgefordert wird sich eine von ca. 6 oder 7 Gruppen zuzuordnen. Ich gehöre zur Gruppe “was anderes…?”. Es gibt aber noch eine Unterscheidung, nämlich: Es gibt solche, die eingeladen wurden, solche die Vortragen und solche die “Teilnehmer”_innen sind. Inwiefern das teilnehmen hier gedacht wird… es figuriert sich als anwesend Sein. Naja. Die Teilnehmer_innen jedenfalls werden in besonderer Weise markiert, in dem sie kein ausgedrucktes Namensschild haben bzw. bekommen. Das wäre technisch vermutlich schwer möglich. Es ist mir nicht ganz klar, inwiefern hier eigentlich Technik als Begrenzung von irgendwas eine Rolle spielt. Das dachte ich schon vorhin. Das E-Book soll und will hier unabhängig vom Buch gedacht werden, dabei besteht zwischen diesen beiden ja eine Art chiasmisches Verhältnis. Oder ist es dialektisch? Ich habe keine Ahnung von Dialektik.
Was ist also eine Electric Book Fair?
Hm. Man könnte sagen, dass es eine Veranstaltung ist, die sich konzentriert dem Thema “E-Book als neues Medium” widmet. Gleichzeitig wird die Möglichkeit geboten sich zu vernetzen. Vernetzt wird sich vor allem im Bereich der Buchbranche und der E-Book-Branche, wenn man es genau nimmt. Es geht also auf einer Metaebene darum die Buchbranche mit der E-Book-Branche zusammenzubringen. Und das macht man, in dem man das neue Medium als Event “performt”. Was ist das Medium denn? Das sagt man nicht, weil es ja tangibel ist. Man hat es ja schon, kann darauf zeigen, darauf verweisen, dass man es macht und hat. Und das heißt, dass man sich Fragen fragt und Antworten gibt, die eben nicht mit dem E-Book zu tun haben, sondern das E-Book tritt als Akteur auf und provoziert auf teilweise kongruenten Feldern bestimmte Themen. Das ganze ist dabei hauptsächlich dann eben doch eine Frage der Wirtschaft. Man fragt sich was das hier eigentlich ist, weil man sich fragt was man damit machen kann. Es ist pragmatisch. Jedenfalls hat es den Anschein. Vielleicht gibt es daneben noch andere Modi, diese Veranstaltung zu lesen. Vielleicht ist es aber auch über alle Maßen abstoßend sich vorstellen zu müssen, dass das hier “halt so ist”.
Was ist eine Electric Book Fair?
Wir haben hier einen Tag voller kleinerer Veranstaltungen, bei dem Menschen zusammenkommen um sich über E-Books zu unterhalten. Dabei können sie sich vernetzen. Die Veranstaltung ist dabei vor allem räumlich interessant. An verschiedenen Orten in der Location, werden die Menschen zu verschiedenen Handlungen provoziert. Es gibt den Eingang, einen Sitzbereich, ein Café, es gibt zwei Stages/Bühnen, es gibt eine Art elektronische Bibliothek, es gibt ein Außen, eine Toilette und es gibt die Wege dazwischen. Die Leute werden durch verschiedene Dinge in Bewegung versetzt.
- Bedürnisse: Hunger, Durst, Harndrang, etc.
- Interessen: Am Urheberrecht, etc.
- Vorhandene (Rest-)Energie
- Bekanntschaften: Freunde treten auf, sitzen irgendwo rum, etc.
Der Raum selbst sorgt für eine bestimmte Akustik, die dann andersherum dafür sorgt, dass manche dieser eben genannten Faktoren überschrieben werden können. Und dann hat man noch externe Sachen. Kinder, Freunde, andere Termine/Veranstaltungen.
Und das ist also was passiert: Man kommt rein und orientiert sich nach dem man markiert worden ist. Dann schaut man sich wahrscheinlich eine Veranstaltung an, wenn man einen halbwegs erträglichen Platz zum Stehen/Sitzen gefunden hat. Dann ist man erstmal da. Schwierig zu sagen wie es dann weitergeht. Ich jedenfalls schaue mir das Programm an. Ich kreuze an was mir gefällt. Ich trage es mir ins Smartphone ein. Ich gehe herum und finde keinen Gefallen bei der Vorstellung, dass ich Offenheit performen muss und sitze deswegen zurückgezogen auf einem Sofa und schreibe – weil es geht. Der Vorteil, jedenfalls im Vergleich zur ähnlichen Situation gestern, ist ja, dass ich im Prinzip ununterbrochen tun kann was ich will. “Im Prinzip” deswegen, weil ich ja die Termine der mich interessierenden Veranstaltungen im Kalender hab. Und so werde ich dann irgendwann heute doch noch in Bewegung versetzt werden.
Kann man das mal ordnen?
Man kann folgende Zuordnungen machen: Es gibt mich, es gibt den Ort, das Thema, es gibt andere Menschen, die sich in gewisser Weise verhalten. Das Thema, wie auch anderes (die Akustik, z.B.) provoziert auch hier kleinere “Konfliktchen”, die die Veranstaltung für sich in Bewegung halten. Es gibt die Technik, es gibt die Menschen, die die Technik beaufsichtigen. Es gibt Essen, Möbel, Programme und Prospekte, es gibt verschiedene Zwischenmenschlichkeiten. Es ist dabei alles mehr oder weniger homogen, trotz allem. Die Veranstaltung liest sich als eine Veranstaltung, sie wird zusammengehalten. Von was?
Vielleicht sollte man das alles besser beschreiben.
Es ist kurz vor Mittag als ich den Supermarkt in der Brunnenstraße betrete. Ich bin nicht direkt aufgeregt, aber ein gewisses Kribbeln ist da – vor allem weil ich weiß, dass es eine Zeit für mich als Fliege an der Wand sein wird. Als ginge es darum diese Vorahnung zu bestärken, werde ich am Eingang aufgefordert mir ein Namensschild an die Brust zu kleben. Es gibt unterschiedliche Varianten von Namensschildern: Bedruckte, die für eingeladene Gäste sind und unbedruckte, die man selbst beschreiben darf. Der Edding ist dabei viel zu dick für eine Selbstbeschreibung. Jedenfalls: Markiert man sich als Teilnehmer_in selbst namentlich und bekommt danach die Aufgabe sich über einen farbigen Punkt (ein Sticker, den man sich auf seinen Namenssticker klebt) einer Gruppe zuzuordnen: Journalist_in, Autor_in, usw. Ich wähle als Gruppenzuordnung die Gruppe “was anderes…?” weil ich nämlich dann keinen Aufkleber auf meinen Aufkleber kleben muss. Und das finde ich irgendwie ein bisschen lustig. Es passt auch so gut, zur Gruppe, irgendwie. Ich laufe dann durch den “Supermarkt”. Und sehe, dass es zwei Bühnen oder Veranstaltungsorte gibt: Beide sind sehr voll. Wir haben da einerseits die “Electric Enquette” und andererseits das “Electric Café”. Die Bühnen unterscheiden sich vor allem durch ihren Aufbau, der für erstere eine Art Mainstage und für zweitere eine art alternative Stage als Charakaterisierungen nahe legt. Dabei sind die Themen gar nicht so leicht zu unterscheiden. Die Bühnen liegen an gegenüberliegenden Enden des Veranstaltungsortes. Da dieser aber vor allem wenig räumliche Trennungen hat (feste Trenner sind hier höchstens die Säulen, neben den paar wenigen Wänden), hat man das Problem, dass man ganz egal wo man sich befindet beide Stages gleichzeitig hören kann. Klar, das funktioniert nicht notwendigerweise gleich gut von jedem Ort im Supermarkt. Aber man hört das Gebrabbel von beiden Stages. Dadurch entsteht schnell das Gefühl, dass man weder der einen Veranstaltung noch der anderen “in Ruhe” folgen kann, weil man ja dafür Ruhe bräuchte. Ich wandere deshalb nur zwei Mal uninspiriert durch den Supermarkt und gehe nach draußen für einen Moment um mich im Programm zu orientieren und auch, um mir zu überlegen was ich jetzt eigentlich genau mit dieser Situation anfangen will. Ich lese das Programm, kreuze ein paar Sachen an und weiß jetzt, dass ein mittelgroßer Teil meiner Anwesenheit hier keine Konzentration auf eine der beiden Bühnen erfordert. Ich überlege mir zu lesen und zu schreiben in der Zeit. Ich gehe von draußen wieder rein und es ist sensorisch immer noch sehr anstrengend. Ich werde kurz von einem Menschen, der zur Location gehört gefragt, was ich hier erwarte. Ich hole mir einen Kaffee und setze mich hin. Seitdem schreibe ich auf, was dieser Ort/dieses Event eigentlich ist.
Und erstmal gibt es mehr dazu nicht zu sagen.
(Knapp 3 Stunden später.)
Jetzt gibt es wieder etwas zu sagen. Nämlich: Die ganz eindeutige kommerzielle Ausrichtung wirkt stark auf die Veranstaltung ein. Man versucht sich zu zeigen, was mir exemplarisch vorgeführt wurde im Big-Data-Panel gerade eben: Da sitzen Leute vorne, die sich und ihre Projekte vorstellen und erklären wie diese von ökonomischem Vorteil sind.
Es gibt in diesem Sinne nur ein ökonomisches Erkenntnisinteresse, nämlich: Wie kriegt man es hin, dass die eigenen Produkte am Markt sichtbarer und interessanter werden? Kann uns Big-Data dabei helfen und wenn ja, wie? Es geht eher nicht darum die Formation “Big Data” als solche mal zu untersuchen. Was kann sie uns eigentlich sagen, welchen Zugang zur Welt ermöglicht sie? Aus diesem Panel kommend, kann man den Eindruck gewinnen, dass diese Veranstaltung exemplarisch für eine Defensivbewegung des Buchmarktes/Textmarktes steht. Ich habe das mit dem Gedanken an Kathrin Passigs “Margarinen-These” verbunden, die (so in etwa) besagt:
Wenn ich an einen Text aus dem einen oder anderen Grund nicht drankomme, dann komme ich halt an einen anderen, äquivalenten Text.
Bei ihr ging es dabei vor allem um wissenschaftliche Texte, aber die These funktioniert natürlich auch für Bücher ganz allgemein: Wenn ich Interesse an einem Krimi, der in Berlin spielt habe und das mein ganzes Interesse ist, dann ist es egal welchen der Drölfzigtausend Berlin-Krimis ich nachher in Händen halte: Sie sind auf dieser Ebene äquivalent. Diese These ist umgewendet nicht anders als die Angst die diese Rückwärtsbewegung des Buchhandels provoziert hat. Es gibt so viele Texte, es gibt so viel ähnliches, wie kriegen wir es hin, das Besondere im Ähnlichen herauszustellen?
Individualitätssteigerung durch quantifizierende Methoden. Wie soll das funktionieren?
Mehr gibt es hierzu dann erstmal auch nicht zu sagen. Ich bin mir nicht mal sicher, dass das hier überhaupt noch etwas mit der Electric Book Fair zu tun hat.
(noch mal mindestens zwei Stunden später…)
Ich schrieb auf Twitter: “Persistenz vs. Provinienz ist the matter of concern. #ebf14”
Was könnte das meinen? Herkunft und Verleib sind zwei sehr unterschiedliche Dinge, die sich in der “eigentlichen Sache” treffen. Bei E-Books treffen sie sich eben im elektronischen Text, wie dieser sich auch immer darstellt/wie er auch immer figuriert sein mag. Jedenfalls ist das Gerade in Bezug auf die Sichtbarkeit dieser Sache von Bedeutung. Aber nicht nur das ist von Bedeutung. Von Bedeutung ist auch: Dass es eben nicht um eine Sichtbarkeit geht. Es ist also, kurz gesagt:
Historizität + Interesse der Akteure + deren Verbindung = Sichtbarkeit
Vielleicht. Oder: Herkunft ist deshalb interessant, weil es das besondere, das eigentliche herausstellt. Verbleib ist deswegen interessant, weil es zeigt, wie ähnlich es dann doch wieder ist. Auffindbarkeit, die ja mit Verbleib assoziiert wird, hat eben nachher eher was mit Ähnlichkeit als mit Herausstellung zu tun. Ist ja auch klar: Die meisten Online-Dinge machen gleich. Sie funktionieren nicht umsonst so wie sie funktionieren: Die Geschichte der Informationstheorie/Systemtheorie/Kybernetik bietet dafür ein schönes Beispiel.
Was heißt das aber für Sichtbarkeit des E-Books?
Es kann nicht (mehr) darum gehen, die Besonderheit herauszustellen, sondern es müssen ganz im Gegenteil die Austauschbarkeit betont werden. Wir brauchen mehr Texte, auch mehr ähnliche, damit es eben nicht mehr darauf ankommt, dass unbedingt Text X oder Text Y findet. Das ist dann auch der “Stream” der Literatur. Das ist, was Spotify für die Literatur wäre: Ein eher über den Zugang überhaupt und die Dauer dieses Zugangs zu denkende Literatur. Dabei geht es nicht um die Austreibung eines wie auch immer gearteten “Geistes” aus der Literatur. Es ist vielmehr die Austreibung der (Stück-)Ware aus der Literatur. Das ein Text ein Text ist, dass er als Stück produziert wird, ist so wahr, wie banal, wie egal. Denn die andere Seite, die des Lesens, hat nachher zwar durchaus den Anspruch etwas “fertig gelesen” zu haben, aber damit hört das Lesen nicht auf, das Stück hört auf, das Geschriebene hört auf, aber das Lesen eben nicht. Was ist Lesen von der Query her gedacht?
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